Gerd Steffens stellt sein Buch vor

Diese Krankheit ist in einer älter werdenden Gesellschaft gefürchtet wie kaum eine andere: Demenz. Inzwischen ist sie in ihrer Bedrohlichkeit überall angekommen. Film und Fernsehen haben das Thema entdeckt, viele Bücher sind erschienen, Ratgeber klären auf, aber die Angst vor dieser „Auflösung der Persönlichkeit“ ist geblieben. Was ist, wenn es mich oder einen nahen Angehörigen trifft, fragt sich wohl jeder Ältere. Es gibt nicht die eine, erhellende Antwort. Aber es gibt Erfahrungsberichte, die Mut machen.

Wie begleitet man einen Menschen mit Demenz - viele Jahre lang? Gerd Steffens hat einen Weg gefunden, diese große Herausforderung zu bewältigen: Er hat während der zehnjährigen Phase seine „teilnehmenden Beobachtungen“ aufgeschrieben, hat versucht, zeitweise die Perspektive seiner dementen Ehefrau einzunehmen und ihr verändertes Verhalten zu verstehen. Entstanden ist das Buch: „Ein Lebensversuch mit Demenz. Bericht über K.“ Es sind viele Tagebucheinträge über eine mitunter verzweifelte Situation. Geholfen hat ihm seine Sichtweise: Nicht als Mitleidender, sondern als Beobachter , als Interpretierender hat er eine Sinnspur gefunden, hat Verständnis für die Blickweise der erkrankten Ehefrau gefunden.

Im ausgebuchten Saal der Agora-Wohnanlage stellte er sein Buch vor. Moderatorin Sigrid Geisen hatte ihn im Namen der Aka eingeladen und moderierte die eindrucksvolle Veranstaltung. Sie hatte die inzwischen verstorbene Ehefrau gut gekannt, war jahrzehntelang ihre Freundin und Mitstreiterin bei vielen Aktivitäten gewesen, so auch bei einem Projekt der Aka für Migrantenkinder „Zeit nehmen-Zeit geben“. Unter den Zuhörer/-innen waren viele, die K., diese vormals selbstbewusste, tolerante und zupackende Frau erlebt hatten, vor allem als Leiterin des Migrationsdienstes der Caritas in Darmstadt.

Auch ihr Ehemann, der Autor Gerd Steffens, hat viele Jahre in Darmstadt und Umgebung gearbeitet, als Lehrer und als Wissenschaftler. Ab 1998 war er Professor für Politische Bildung an die Universität Kassel, wo er bis zur Emeritierung 2007 arbeitete.

Die Krankheit seiner Frau begann schleichend, sie drückte sich nicht körperlich aus. In der ersten Phase, betont er, findet ein „allmähliches Gleiten“ statt, kein abrupter Ausbruch. Es dauerte mehrere Jahre, bis eine Neurologin endlich die Diagnose „Alzheimer“ erteilt. In den ersten Jahren versuchte das Ehepaar verzweifelt, das vertraute Leben weiterzuführen, aber die Zeichen, dass sich etwas geändert hatte, wurden immer auffälliger.

Da war z.B. das Autofahren. K, eine sichere Fahrerin, verwechselte plötzlich die Gänge, verschätzte sich in der Beurteilung von Abständen und angemessenem Tempo, begab sich in sehr gefährliche Situationen und und fing an zu streiten.

Es gab immer mehr solcher „sozialen Unfälle“, die auch Menschen betrafen, mit denen sie zusammenarbeitete.

Gerd Steffens erlebte diese Phase als verstörend. Um seine ausweglose Situation zu ertragen, entschied er sich für die Rolle des teilnehmenden Beobachters. Er wollte registrieren und reflektieren, es sollte Platz für Selbstgespräche geben in einem Alltag, wo beide sich wohlfühlten. Er ließ sich ein auf das „Abenteuer des Verstehens“. Und er veränderte sein Verhalten, erkannte, dass bei seiner Frau ein Verlust der Erinnerung fortschritt, vor allem aber auch die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen. Er bemerkte, wie sie ihn als drei verschiedene Personen gleichzeitig wahrnahm, weil sie nicht seine drei Aktionen zusammenhängend, sondern nur nacheinander, wahrnehmen konnte..

Die letzten Jahren , sagte er, seien nicht so problematisch gewesen wie die ersten sieben Jahre. Nachdem er es geschafft hatte, an die Art und Weise anzuknüpfen, wie sie dachte und die Dinge sah, begann er darüber im Tagebuch zu reflektieren und schaffte ein „Geländer durch den Tag“, an das sie sich klammern konnte, obwohl sie die Orientierung immer mehr verloren hatte. So wandelte sich das Leiden der ersten Jahre, als sie nicht mehr das tun konnte, was sie wollte, in eine Art „Idylle der Demenz“.

Was er nach diesem beeindruckenden Vortrag dem Publikum mit auf den Weg geben könne, wurde Steffens zum Schluss gefragt. Man solle, sagte er, versuchen, „hinter den Blick zu kommen, wie die betroffene Person die Welt und sich sehe und worüber sie verzweifelt, traurig oder glücklich sei.“

Heidrun Bleeck

 

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