Tiermythen-Rundgang im Vivarium
Eine ganz besondere Führung hatte Ulrike Poppensieker für die Aka-Mitglieder organisiert. "Tiere im Volksglauben" nannte Zoopädagoge Dr. Frank Velte den einstündigen Rundgang im Vivarium, in dem er vor den jeweiligen Gehegen erklärte, welche Eigenschaften und „Zauberkräfte“ den Tieren früher zugeschrieben wurden.
Los ging es mit dem "Todesvogel" Waldkauz. Das arme Tier hat wirklich gar nichts mit der schrecklichen Botschaft zu tun. Schuld ist sein Ruf "Kiwit", der umgedeutet wurde in "Komm mit". Die brennende Kerze, die man früher ins Fenster stellte, wenn jemand gestorben war, diente als Auslöser, denn Käuze ernähren sich von Insekten, die die das Licht umschwirren. Da man diese Zusammenhänge damals noch nicht kannte, behalf man sich auf andere Art, um sich und sein Haus zu verschonen: Man nagelte zur Abschreckung eine lebendige Eule auf die Scheune.
Andere Eulenarten haben es besser: Der Steinkauz, z.B. ist das Symbol der Göttin Athene und verkörpert die Weisheit. Das Zeichen M in den Hieroglyphen ist ihm gewidmet. Und auch die Schnee-Eule hat Millionen Fans, beglückt sie doch unter dem Namen Hedwig die Harry-Potter-Fans. In der Natur ist sie ein besonders zähes Tier, lebt im nördlichen Amerika, wo es besonders strenge Winter gibt, kann 40 Tage ohne Futter leben und jagt sogar Füchsen ihre Nahrung ab. Ein besonders makabrer Brauch: Sie galt als Glücksbringer für den Mann, der sie erlegt hatte, wenn er sie auf seine Lanze spießte und diese auf einem Grabhügel sichtbar postierte.
Der größte Vogel im Vivarium ist der Geier. Die Redensart "Warum zum Geier...." bzw. "Weiß der Geier" bedeutet nichts Gutes. Hier darf man wohl vermuten, dass man den Namen des Teufels nicht aussprechen wollte und stattdessen den Namen des armen Vogels benutzte. Auch in Filmen symbolisiert das Auftauchen eines Geiers meistens Tod oder höchste Gefahr. Weil die Tiere sich von Aas ernähren, erwecken sie Abscheu. Auf der anderen Seite rufen sie auch Ehrfurcht hervor, denn sie kümmern sich hingebungsvoll um ihren Nachwuchs - volle zwei Jahre lang.
"Du dummer Esel", das sagt man auch heute noch, wenn auch seltener. Dabei ist dieses Tier für den Menschen überaus nützlich. In der Antike benutzte man ihn als Packtier oder Lasttier. Man trank Eselsmilch und ließ Ehebrecherinnen mit dem Rücken nach vorn auf ihnen reiten. Dabei sind Esel alles andere als dumm. Dass sie bei Gefahr nicht flüchten, wie z.B. Pferde, hängt damit zusammen, dass sie aus gebirgigen Regionen stammen, in denen man steil abstürzen konnte und deshalb jeden Schritt sorgsam setzen musste. Sie sind überhaupt nicht dumm, sondern sanftmütig und klug. Sie suchen sich einen Freund und verbringen viel Zeit mit ihm.
Ziegen, männliche und weibliche, kommen im Volksmund ebenfalls nicht gut weg. Die "dumme Ziege" und "der geile Bock" haben sich über Jahrhunderte im Sprachschatz gehalten, natürlich ganz zu Unrecht. Denn gerade sie sind als "Arme-Leute-Tiere" von ganz besonderer Bedeutung. Die Ziege gilt als die "Kuh der kleinen Leute". In der griechischen Mythologie hatte sie noch einen guten Ruf, immerhin wurde Göttervater Zeus von ihr gesäugt. Das änderte sich im Christentum rasant. Hier entstand plötzlich das Bild vom Sündenbock. So zeigt ein Bild der Walpurgisnacht nackte Menschen, die auf einem Ziegenbock durch die Lüfte reiten. Der Teufel selbst sitzt in Gestalt eines Ziegenbocks auf dem Thron.
Eine ganz andere Sichtweise hatten die Menschen aller Zeiten hingegen auf Schildkröten, besonders natürlich auf die gigantischen "Riesenschildkröten", die es sich im Vivarium gut gehen lassen. So hatten z.B. die Indianer die Vorstellung, dass diese Tiere Sinnbild von Weisheit und Beständigkeit waren. Besondere Bedeutung wurde immer wieder ihrem Panzer zugemessen. Einige Kulturen glaubten, dass Schildkröten ihre Seelen im Panzer versteckten und bei Bedarf wiedergeboren werden konnten.
Eine ganz besondere Bedeutung aber hat die Schlange, ist sie doch schon in der Bibel als allererstes Tier erwähnt. Die Schlange als Verkörperung des Bösen, die für die Vertreibung aus dem Paradies verantwortlich ist. Die Schlange löst Abscheu aus, aber auch Faszination. Und macht Angst, egal wie groß. Zu Recht? Dr. Velte hat die Zahlen: 4000 Arten gibt es, davon sind 400 giftig, die Hälfte wiederum tödlich. Und wie viele Menschen werden nun tatsächlich von Schlangen gebissen? Laut WHO sind es jährlich 5,4 Millionen, von denen rund 138.000 an den Bissen sterben. Die Bezeichnung "Giftschlange" hat sich im Volksmund gehalten. Angesichts dieser Zahlen mag jeder für sich entscheiden, ob sie in der jeweiligen Situation angemessen ist.
Fazit: Es ist gut, dass die Tiere nicht wissen, was Menschen über sie denken, welche Eigenschaften sie ihnen zugeschrieben, welchen Unsinn über ihr Verhalten sie verzapft haben. Und es ist gut, dass ein kleiner Zoo wie das Vivarium anschaulich erläutert, was es mit "Tiermythologien" auf sich hat.
Heidrun Bleeck / 21.08.2024