Nikolas Heiss erinnert an ein trauriges Kapitel
Ohne ihn hätte Darmstadt heute keinen Welterbestatus, so hatte Oberbürgermeister Hanno Benz seine Verdienste gewürdigt. Der ehemalige Denkmalpfleger der Stadt, Nikolas Heiss, hatte die Bewerbung der Stadt mit dem Jugendstiljuwel Mathildenhöhe von Anfang an fachkundig begleitet.
Außerdem wurde er bekannt durch seine Luftaufnahmen zum Thema „Darmstadt von oben“. Bei der Aka-Veranstaltung im Literaturhaus allerdings ging es nach unten, und es wurde bisweilen gruselig.
Petra Neumann-Prystaj, die seine Aktivitäten als Echo-Redakteurin journalistisch begleitet hatte, führte ins Thema „Durch Darmstadts Unterwelt“ ein und begrüßte das Publikum. Brechend voll war das Literaturhaus, kein einziger Stuhl blieb frei. Und auch nach der Veranstaltung sammelte sich eine Traube vor allem junger Männer um den Referenten, um immer noch mehr Details zu erfahren.
Das Thema Krieg war an diesem Abend besonders aktuell, denn in Syrien hatte sich nach der Flucht Assads eine dramatische Wendung vollzogen. Neben all den jubelnden Mengen wurden auch die Folterkeller des Regimes gezeigt, wo sich unvorstellbare Gräueltaten abgespielt hatten.
In Darmstadt sollten die diversen Keller dem Schutz der Bevölkerung während eines Luftangriffes dienen. Zur Erinnerung: Am 11. September 1944 ließ die RAF (Royal Airforce) Bomben über der Stadt abwerfen. 11.000 Menschen starben, 50.000 wurden obdachlos. Fast die gesamte Innenstadt wurde zerstört.
Im nächsten Jahr jährt sich das Ende des 2. Weltkrieges zum 80. Mal, und wir blicken auf 80 Jahre Frieden zurück. Die meisten Bundesbürger kennen das Wort „Krieg“ nur aus Büchern und Filmen, aber angesichts der Weltlage wird es plötzlich wieder drohend aktuell.
Und der „Schutz der Zivilbevölkerung“ bekommt eine ganz neue Bedeutung. Sind wir in Darmstadt da auf der sicheren Seite? Welche Schutzräume gibt es? Nikolas Heiss war nicht gekommen, um diese plötzlich aktuelle Fragestellung zu beantworten. Aber er gab einen ausführlichen Überblick über die „Bestandsbauten“, also vorhandene Bunker, Keller und Schutzräume. Da gibt es zum Beispiel 15 Bunkerstandorte.
Einer der markantesten ist der Spitzbunker auf der „Knell“. Erbaut wurde er in den Jahren 1938 und 1939 in Erwartung des Luftkrieges. Er sollte den Reichsbahnmitarbeitern als Schutz dienen, also nicht der zivilen Bevölkerung. Die Außenwände bestehen aus zwei Meter starken Stahlbetonmauern. Erhalten sind nummerierte Holzbänke, Aufschriften an den Wänden, Messgeräte und Aborte. 530 Personen hätten darin Schutz gefunden - wenn denn die Angriffe tagsüber erfolgt wären …
Besonders auffällig ist auch der Mozartturm, der unter dem Namen „Richthofenbunker“ erbaut wurde. Er diente als Luftschutzbunker für den Bereich um den Hauptbahnhof, war also von besonders wichtiger strategischer Bedeutung. Einige Berühmtheit erlangte er 1945, als die Stadt Darmstadt von dort aus ihre Kapitulation erklärte. Nach dem Krieg diente er für kurze Zeit als Obdachlosenasyl. In den 70er Jahren nutzte man ihn als Mozartarchiv mit Tonstudio und Veranstaltungsraum.
Eine besonders traurige Berühmtheit erlangte der Biergartenkeller in der Dieburger Straße, den rund ein Dutzend Bierbrauereien als Kühlkeller nutzten. In den Jahren 1933 und 1934 wurden hier die ersten verhafteten Gegner des NS-Regimes misshandelt und bis zu ihrem Transport ins KZ Osthofen festgehalten. Im Volksmund hieß er „Folterkeller“. Womit wir wieder bei den traurigen Ereignissen der aktuellen Weltgeschichte wären.
Nach dem Vortrag von Nikolas Heiss wurde lebhaft diskutiert. Zwei Fragen wurden dem Referenten vor allem gestellt.
1. Wie gut ist Darmstadt mit Schutzräumen eigentlich momentan versorgt?
2. Wann erscheint ein Buch über diese Zeugen einer schrecklichen Vergangenheit?
Beide Fragen können hoffentlich von Nikolas Heiss irgendwann bei einer weiteren Aka-Veranstaltung beantwortet werden.
Text: Heidrun Bleeck / Foto: Gerald Block / 09.12.2024