Eine Neubegegnung mit dem Film „Clockwork Orange“ aus dem Jahr 1971 

Einmal pro Aka-Halbjahr überrascht und beglückt Rolf Wollner die Cineasten unter den Aka-Mitgliedern mit einem Kultfilm aus den 60ger oder 70ger Jahren. So kann das in die Jahre gekommene Publikum überprüfen, ob die Blockbuster, für die es in Jugendzeiten geschwärmt hat, ansehens- und nachdenkenswert geblieben sind.

Wollner, bekennender Alt-68ger, wählte nach „Easy Rider“ und „Woodstock“ Stanley Kubricks böses, düsteres Meisterwerk „Clockwork Orange“ aus dem Jahr 1971 für eine Retrospektive am 18.11.23 aus. Es ist eine Satire oder eine Utopie, ein Film, in dem im ersten Teil brutale Gewalt verwirrend ästhetisch choreographiert wird. Begleitet von klassischer Musik wird geprügelt, vergewaltigt, gemordet. Alex, der jugendliche Protagonist, dargestellt vom charismatischen Malcolm McDowell (heute übrigens 80 Jahre alt) ist die Verkörperung anarchistischer Lebensgier. Mit seinen drei Kumpels, den „Droogs“, bildet er eine Gang, die kein Mitleid für Hilflose und Schwächere kennt und für die Mädchen und Frauen nur Objekte für das „Rein-raus-Spiel“ sind. Das Böse macht Alex Spaß – aber er liebt auch Beethovens Musik. Als er im zweiten Teil des Films im Gefängnis landet und dort von Bürokraten gedemütigt wird, hat man fast Mitleid mit ihm. Damit er schneller in die Freiheit entlassen wird, stimmt er einem Experiment zu, einer wissenschaftlichen, noch nicht erprobten Aversions-Therapie. Pausenlos werden dem Zwangsfixierten in einem Kino Gewaltszenen gezeigt, bis er mit Brechreiz auf Gewalt reagiert. Aber kann man Böses wirklich mit Bösem austreiben? Wird nicht auch vom Staat oder den Wissenschaftlern mit dieser Art Gehirnwäsche Gewalt gegen Alex ausgeübt? In Erinnerung bleibt der Ausspruch des katholischen Gefängnispfarrers, der es gut mit dem jugendlichen Straftäter meint: „Das Gute ist etwas, das man wählen muss. Wenn ein Mensch nicht wählen kann, ist er doch kein Mensch.“

Der in der Ästhetik der Popart-Ära schwelgende farbsatte Film macht neugierig auf seinen Autor, den englischen Schriftsteller und Komponisten Anthony Burgess (1917 bis 1993). Er hat in seiner Kindheit auf den Straßen von Manchester viel Gewalt erlebt und war vom Katholizismus beeinflusst. Ihm ging es in seinem Roman, einer Art Bibel der Punker und Rocker der sechziger Jahre, um die „wilde Zeit des Teenagertums, wo der Intellekt den körperlichen Entwicklungen junger Menschen sehr häufig hinterherhinkt“ und um das Nachdenken über die Willensfreiheit des Menschen. Nicht nur Beatles und Stones waren von Burgess‘ Zukunftsroman (er spielt 1983) beeinflusst, auch die deutsche Musikgruppe „Die toten Hosen“. Sie fasste die Geschichte des Buches in einem Song zusammen: „Hey, hier kommt Alex. Vorhang auf für seine Horrorschau“. Fazit: Kubricks Film hat die letzten 50 Jahre unfassbar alterslos überstanden und zwingt uns, gerade in heutigen Zeiten, die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Gewalt auf.

Petra Neumann-Prystaj

 

Förderer  -  Datenschutz Impressum

Nach oben