An einem kalten, aber regenfreien Apriltag führte uns die Tagestouren-erprobte Kursleiterin, Frau Wilbrand, ins mittelhessische Städtchen Wetzlar. Zwanzig Teilnehmer trafen von Darmstadt kommend fast pünktlich am Bahnhof Wetzlar ein, von einer Stadtführerin erwartet, die uns zunächst am Ufer der Lahn in Richtung Altstadt geleitete. Ziel war die Alte Lahnbrücke aus dem 13. Jahrhundert, also eine der ältesten noch erhaltenen Brücken in Hessen.

Hier verlief ein Handelsweg, die Hohe Straße oder Wellerstraße, die von Antwerpen über Köln und die Reichsstädte Wetzlar und Friedberg nach Frankfurt führte. Und der Handel machte Wetzlar reich, was die Stadtführerin uns anhand des Dombaus und der Art der Häuser der Altstadt aufzeigte. Natürlich auch das Handwerk, wie z. B. die Tuchmacher, die in Wetzlar neben den Bergleuten und Hüttenarbeitern eine besonders große Gruppe ausmachten. Sie schilderte anschaulich, wie gebleichte Wolle durch Ammoniak im Urin blau eingefärbt wurde.

Wir tauchten tiefer in die Altstadt hinein und gelangten nach wenigen Minuten zum Eisenmarkt. Er ist umschlossen von reizvollen Fachwerkhäusern. Eines davon, die "Alte Münz", wurde 1599 an der Stelle einer mittelalterlichen Münzpräge erbaut. Einen weiteren Blickfang auf dem Eisenmarkt bot der achteckige Brunnen, der eine Statue der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute, zeigt. Auf dem Weg zum Domplatz in der Krämerstraße schoß 1914 Oskar Barnack sein erstes Foto mit der Ur-Leica von diesem Standort aus. Also die Gelegenheit für die Stadtführerin, über Ernst Leitz, seine Mikroskop-Fertigung, sein Werk, seinen Mitarbeiter, jenen Oskar Barnack und der daraus folgenden weltberühmten Fotoapparatefabrik zu erzählen.

Und dann der Dom, der im eigentlichen Sinne keine Kathedrale ist, da er nie Sitz eines Bischofs war. Aber weil die Frankfurter ihre große Kirche Dom nannten, machten die Wetzlarer es ihnen nach. Er gehört zu den ältesten Kirchen in Deutschland, die von Katholiken und Protestanten gemeinsam genutzt werden. Im 13.–15. Jahrhundert sollte der romanische Kirchenbau des Wetzlarer Doms durch einen gotischen Nachfolgebau ersetzt und erweitert werden, was üblicherweise durch Errichtung eines neuen Baues um den noch nicht entfernten Vorgängerbau erfolgte. Eine Besonderheit hier ist nun, dass der Bau in dieser Umbauphase unvollendet blieb und die verschiedenen verschachtelten Bauabschnitte zum Teil erhalten blieben. Was wir noch alles über ihn erfuhren, würde den Rahmen dieses Berichtes sprengen.
Direkt an den Domplatz und das Stadthaus am Dom gliedert sich der Fischmarkt an. Hier wurde Mitte des 14. Jahrhunderts im mehrmals umgebauten Rathaus das ab 1690 das Reichskammergericht, an dem sich Goethe am 25. Mai 1772 als Praktikant einschrieb, ansässig.

Nach der einstündigen Mittagsrast im Cafe Lotte war Goethe dann das Thema überhaupt. Vor 250 Jahren, also im Mai 1772, fuhr der fast 23 Jahre alte Goethe in Wetzlar mit einer Kutsche ein. Er blieb vier Monate in der Stadt an der Lahn; es wurden Monate, die sein Leben veränderten. Hier verliebte er sich in Charlotte Buff, Tochter des Deutschordensverwalters, doch Lotte war bereits versprochen. Auch mit ihrem Verlobten freundete er sich an. Die für ihn schmerzhafte Dreiecksbeziehung löste Johann Wolfgang Goethe indem er im September die Stadt heimlich verließ und das Lahntal hinab wanderte. Zwei Jahre später verewigte er diese Zeit in dem Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ und wurde mit diesem Werk, reich an Gesellschaftskritik, berühmt. Wir hörten den lebhaften Schilderungen unserer Stadtführerin im Lottehaus und davor interessiert zu. Am Kornmarkt wohnte Goethe während seines Aufenthaltes in Wetzlar. Eine Plakette an der Fassade weisst darauf hin.

Viel zu schnell ging dieser Tag zu Ende. Weil auf der Warteliste nochmal zwanzig Anmeldungen standen, will Frau Wilbrand diese Tour Ende Mai mit denen wiederholen.

25.05.2023 / Text und Video: Werner Nüsseler

 Video: Fahrt nach Wetzlar am 25. April 2023

 

 

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