Gästeführer Matthias Lothhammer führte eine Aka-Gruppe zu Orten mit blutiger Vergangenheit

raeuberbande 170Zurzeit lässt Darmstadt die Erinnerung an die Brandnacht vor 80 Jahren wiederaufleben, doch der städtische Gästeführer Matthias Lothhammer tauchte beim Stadtspaziergang noch tiefer in die Geschichte der Stadt ein. Bei einer Führung zu markanten Orten berichtete er einer Gruppe von Aka-Mitgliedern von der Zeit, in der Räuberbanden Darmstadt und den Odenwald heimsuchten.

Zwischen 1780 und 1815 zogen seiner Schilderung nach Soldaten durchs Land, jeder dritte Hesse musste zum Militär. Viele Menschen aus der Mitte der Gesellschaft verarmten, Diebstähle und Verbrechen nahmen zu. Für ein bis zwei Beschaffungsprojekte taten sich manche zu Banden zusammen. Von der Wäscheleine gestohlene Kleidungsstücke oder die in Bauernhöfen genutzten Eisenketten waren leicht zu verhökern. Dreister Postraub war besonders lukrativ. Es war ziemlich leicht, in Fachwerkhäuser einzudringen, weil man nur ein Gefach einzutreten brauchte. Gestohlen wurden vor allem Dinge des Alltags - Kleidung, Bettzeug, Geld und alles, was die Speisekammer zu bieten hatte. Ein Vorteil für die Räuber war die Kleinstaaterei. Wenn sie sich erst mal über die Grenze geflüchtet hatten, wurden sie kaum noch verfolgt.

Das heutige Regierungspräsidium am Luisenplatz war früher eine Art Landgericht, während im Alten Rathaus, vergleichbar einem Amtsgericht, über geringere Strafdelikte geurteilt wurde. Der Ratssaal diente als Gerichtssaal, die Schöffen gehörten dem Stadtrat an. Im Rathaus befand sich nicht nur ein Untersuchungsgefängnis, sondern auch eine Armesünderstube unter dem Dach, in der die zum Tode Verurteilten ihr letztes Stündlein vor der Hinrichtung verbringen mussten.

Wie Lothhammer weiter ausführte, stand in Darmstadt nicht nur auf dem Marktplatz (etwa vor dem Bekleidungshaus Henschel) ein Galgen, sondern auch vor der Kirche St. Ludwig und im Wolfskehlschen Garten sowie in Pfungstadt und Beerfelden. Zwischen 1803 und 1814 fanden 38 Hinrichtungen statt. Da sie Geld kosteten, stritten sich die Gemeinden oft wegen der Kostenübernahme. Wenn der Nachrichter (Scharfrichter, Henker) sein Metier verstand, starb der Delinquent im Idealfall an Genickbruch. Der Leichnam wurde in Galgennähe verscharrt oder zur Anatomie in die Unis Gießen oder Heidelberg gebracht oder öffentlich so lange zur Schau gestellt, bis Vögel und andere Tiere ihn im Lauf von zwei bis drei Jahren zerlegt oder bis er in vier bis sechs Jahren völlig verwest war. Solche postumen Strafen wurden freilich nicht auf dem Darmstädter Marktplatz geduldet – man ahnt den Grund.

raeuberbande 300Lothheimer zeigte Steckbriefe einer Räuberbande, die das Schloss Lichtenberg ausplündern wollten, in dem sich ausgerechnet - Pech für sie - eine Einrichtung der Justiz befand. Einer von ihnen, Jakob Erbeldinger, hatte den Spitznamen Mordbrenner, weil er Überfallenen drohte: Ich setze euch den Roten Hahn aufs Dach. Die steckbrieflich Gesuchten wurden alle gefangen, und aus ihren Lebensläufen geht hervor, dass sie wirklich aus ärmlichsten Verhältnissen stammten. Einer war zum Beispiel Zapfensammler und Viehhirte von Beruf. Von acht Räubern wurden am 5. November 1814 fünf im Wolfskehlschen Garten gehängt. Das nahm nur 17 Minuten in Anspruch. Eine Zeichnung beweist, dass dies ein öffentliches Schauspiel war.

Im Wolfskehlschen Garten ist längst Gras über die Todesstelle gewachsen.

Text und Fotos: Petra Neumann-Prystaj / 17.09.2024

Hier finden Sie eine von Werner Nüsseler reichbebilderte PDF-Datei zu dem Text von Petra Neumann-Prystaj

 

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